Ausstellungsansicht
Einführung von Dr. Hannelore Paflik-Huber:
sehr geehrte Damen und Herren,
- im Hamburger Bahnhof in Berlin findet man gegenwärtig in Anspielung an Joseph Beuys „Jeder Mensch ist ein Künstler“ den hintersinnigen Satz Martin Kippenbergers, der nun wie folgt bei ihm lautet: „Jeder Künstler ist ein Mensch.“ Ich bin mir sicher, dass Dir, lieber Alf eine weitere treffende sprachliche Formulierung dazu einfällt.
Alf Setzer weiß nämlich sowohl mit der Sprache als auch mit dem Bild zu spielen. Spielen meine ich hier im Schillerschen Sinne:
„Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ – Friedrich Schiller (Über die ästhetische Erziehung des Menschen, 15. Brief)
Nehmen wir den Titel, den Alf Setzer dieser Ausstellung im Würzburger Kunstverein gegeben hat: Brennstablager. Sofort assoziieren wir mit diesem Wort Bilder und Begriffe zum Thema Kernkraft.
Was macht Setzer? Er umschreibt damit sein Ausgangsmaterial, die Leuchtstoffröhre und setzt ein weiteres Wort hinzu: Lager. Schon hier führt er uns geschickt in die Irre.
Denn hier geht es weder um Kernkraftwerke um Lagerung oder Aufbewahrung. Hier wird gestaltet und zwar ästhetisch.
Was nehmen wir also als erstes wahr? Spielt man mit Deinem Namen: so haben wir hier eine klare Setzung.
Eine klare Setzung im doppelten Wortsinn. Wir wenden den Begriff klar in der Alltagssprache auf Licht an. Die Brennstäbe leuchten aber nicht.
Mit welchen Mitteln schafft es Alf Setzer dann, dass uns so manches Licht aufgeht?
Der Wunsch eines jeden Künstlers ist es, dass wir reicher aus seiner Ausstellung gehen, als wir dort angekommen sind. Reicher an Erfahrungen , Erkenntnissen und neuen Bildern im Kopf.
So möchte ich heute Morgen beschreiben und deuten, worin der ästhetische Gewinn besteht, den wir nach einem Betrachten der Werke mit nach Hause nehmen.
Alf Setzer hat Bildhauerei u.a. bei Emil Cimiotti und Christiane Möbus studiert und leitet an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart die Bildhauerwerkstatt.
Bei einem ersten Rundblick zeigt sich, dass der Begriff Bildhauerei gar nicht richtig greift. Man möchte ihn nicht Bildhauer nennen, sondern eben Künstler. Er kann es, das Bildhauern. Das zeigt er in seinen Skulpturen und mit einer Altarraumgestaltung, um nur ein Beispiel aus seinem Werk herauszugreifen. Bitte machen Sie beim nächsten Ausflug nach Neuschwanstein einen kleinen Abstecher und schauen Sie sich die Pfarrkirche Hl. Ulrich bei Füssen an. Dort hat Alf Setzer 2011 den Altarraum gestaltet. Das Taufbecken, der Ambo und Altar sind ganz dem barocken Gedanken des Kirchenraumes verschrieben. Das zeitgenössische Werk harmoniert farblich wie inhaltlich mit allen anderen Setzungen in der Kirche, egal welcher Zeit sie entstammen. Hier wie dort ist die Vorgehensweise und Methode von Alf Setzer spürbar. Der Raum ist nicht nur die Hülle für die Werke, sondern eine Komponente, die er in Beziehung zu seinen Arbeiten steht.
- Wir denken bei Leuchtstoffröhren in der Kunst immer auch an Dan Flavin. Er sicherte der Leuchtstoffröhre einen festen Platz in der Kunstgeschichte. Er ist der Erste, der das Industrieprodukt der Leuchtstofflampe, bestehend aus Halterung, Röhre und Licht, zum Kunstwerk erklärte.
Der Clou dabei war, dass er die Lichtquelle nicht zum Zwecke der funktionalen Ausleuchtung eines Raumes an die Decke schraubte. Er färbte den innen beschichteten Leuchtstoff farbig, reihte einzelne Röhren unterschiedlich aneinander, damit der Dialog zwischen Betrachter und Objekt auf die farblichen Stimmungen ausgerichtet ist.
Ganz anders dagegen arbeitet Alf Setzer mit dem Material. Er befreit die Röhren von ihren Halterungen und läßt alles, was das Leuchten erzeugt, entweichen: den Quecksilberdampf und das Edelgas Argon. An manchen Röhren ist auch noch die Beschichtung abgekratzt, so dass alleine die Dünnwandigkeit der Röhre sichtbar ist. Setzer verstärkt damit das Fragile, das jeder Röhre anhaftet. Das ist von der Arbeitsmethode her betrachtet, das gleiche Prinzip, das er auch bei der Bearbeitung von Steinen anwendet . Man befreit das Material von soviel Masse, von allem Unnützen, bis es eine eigene Setzung ist. Bei Setzer bleibt der Glaskörper übrig, deren brüchige Enden zeigen, wie dünn und verletzlich Glas ist. Seiner Formensprache entsprechend ist das Ausgangsmaterial mit großer Perfektion hergestellt. Aber nicht nur das Glas ist zerbrechlich, auch wir könnten uns daran leicht verletzen, wenn wir dem einzelnen Objekt zu nahe kommen würden. Der Künstler zeigt uns auf subtile Weise, dass es besser ist, einen Abstand zu wahren. Ich werde nicht bedroht, wie der Titel der Ausstellung suggeriert.
Man spürt in jeder Skulptur, jedem Foto, jeder Installation, welche Faszination diese Freilegungen auf Setzer ausgeübt haben. Er stapelt, er fädelt, er reiht aneinander, er läßt das Kameraauge unterschiedlich auf die Röhren blicken.
Bereits die Einladungskarte zeigt, welch hohes Potenzial an ästhetischer Wirkung der Künstler mit seinen Eingriffen und Anordnungen erreicht.
Mehrfach erzeugt Alf Setzer eine Spannung, die der Röhre durch das Entweichen der Inhalte entzogen wurde. Das liest sich logisch, denn erst die Konzentration auf die Hülle und nicht auf die Funktion setzt einen neuen Bedeutungszusammenhang frei. Die Röhren sind ihrer Funktion entkleidet. Das dünnwändige, präzis produzierte Glas wird bei Setzer zum Inbegriff der Leichtigkeit. Das Raumvolumen, das dieses dünne, zerbrechliche Material umschließt, ist entsprechend klein.
Das Reale ist hier in seiner Präsenz dem Medialen gegenübergestellt. Die Fotografie, die Zeichnung, das Video und die Installation der Röhren in Gestellen und ihre Aufhängung mit Draht zeigen, wie ein einziges Ausgangsobjekt unterschiedlich beleuchtet werden kann.
Das Foto der Einladungskarte zeigt, wie wichtig Setzer Perspektiven sind. Jeder andere Blickwinkel auf das Objekt verändert den Eindruck, egal, wie ich die Karte halte, hochkant oder als Querformat , oder um 180 Grad gedreht.
Mal fliehen die Rundkörper vor uns, mal kommen sie direkt auf uns zu. Durch die kompakte Lagerung ergeben sich Graustufungen und die gebrochenen Enden der Röhren zeichnen eine neue organische Komposition. Dadurch bleibt Vieles beim ersten Sehen unbestimmt, was die Neugierde und Phantasie des Betrachters weckt. Setzer fordert uns auf sympathische , unaufdringliche Art und Weise auf, immer wieder den Blickwinkel zu verändern. Die logische Schlußfolgerung daraus ist, dass ich meinen Standpunkt ändern muß, um neue Ansichten und Durchblicke zu entdecken. Diese Erkenntnis ist logisch nachvollziehbar und kann hier als ein Mehr sein, den ich mit nach Hause nehme.
Ein weiterer ästhetischer Gewinn besteht in der Bündelung. Was passiert, wenn einzelne Röhren aufgefädelt solitär wie eine Zeichnung den Raum beschreiben und eine bestimmte Raumhöhe definieren? Was passiert ästhetisch, wenn sie in einem entsprechend fragilen Metallgestell gelagert werden?
Was könnte geschehen, wenn sie hin und hergeschoben werden, wie im Video?
Die Hüllen der Leuchtkörper werden intakt so nicht in Regalen gelagert. Sie werden nicht auf ein Gestell gesteckt. Es ist eine Bezugnahme auf einen Künstler des letzten Jahrhunderts, der die gesamte Kunst revolutioniert hat, nämlich Marcel Duchamp, der Alltagsgegenstände, wie einen Flaschentrockner jeglicher Funktion beraubte um ihn in einen anderen Kontext, den Kunstkontext, zu überführen.
Setzer bedient sich auch dieser Methode der Kontextverschiebung, geht aber andere Schritte. Man muß ja auch nicht die ästhetische Konstruktion Duchamps wiederholen. Setzer zeigt Dinge, die wir nicht im Alltag an der Leuchtstoffröhre wahrnehmen. Er macht uns auf das Zerbrechliche eines jeden Gegenstandes aufmerksam, das so nur er als Künstler formulieren kann. Er nimmt die Glaskörper wie Duchamp als anschaulichen Stellvertreter für Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit. Spätestens jetzt bemerken wir, wie viele Assoziationen Setzer mit einem einzigen Material erzeugen kann und wie diese mit der Wirklichkeit außerhalb dieses Schiffes verknüpft sind.
Und damit meine ich nicht nur die Erkenntnis, dass ich nach dem Besuch dieser Ausstellung unsere Lichtquellen anders betrachte.
Ästhetische Erkenntnis ist nicht nur mit dem Augensinn erfahrbar, sondern unter Einsatz aller Sinne, das wird hier pointiert. Diese Leichtigkeit ist anhand der Installationen, der Fotos, der Zeichnungen und dem Video spürbar. Man möchte alles berühren, um die visuelle Erfahrung auch begreifbar zu machen. Es gibt kein Verbotshinweis. Aber ich weiß, dass ich mich verletzen würde.
Als Alf Setzer mir erzählte, er habe die Möglichkeit, im Inneren eines Schiffes seine Arbeiten zu zeigen, war ich äußerst gespannt, wie er diese Aufgabe löst.
Betritt man den Raum, zeigt sich, wie er den Raum als Architektur begreift. Er hat eine Inszenierung, wie in einem Kirchenraum vorgenommen. An der bedeutendsten Stelle, der „Apsis“ des Schiffes, hat er analog zu einem Altarbild das Immateriellste präsentiert, eine Lichtprojektion. Ein Videofilm zeigt Blicke auf ein Dickicht von Röhren, denen wir Schritt für Schritt im Ausstellungsraum begegneten.
Das verbindende Element zu den anderen Arbeiten ist schnell gesetzt. Die Verfremdung wird mit dem Blick der Kamera ins Innere erzeugt. Die Röhren werden einzeln - wie von Zauberhand- hin- und herbewegt. Es handelt sich um ein Spiel, aber ein gesteuertes. Welche Erfahrung hat man gemacht, wenn man am Ende des Raumes angelangt ist, wenn man davor steht und den Weg durch den Wald der Röhren wieder zurückgeht?
Man geht bewußter durch den Raum. Man weiß um die körperliche Erfahrung , um die Vorsicht im Umgang mit Anderem und damit auch den Anderen. Man betrachtet die Arbeiten und ist dabei darauf bedacht, wo ein weiterer Besucher im Raum steht. Alf Setzer will uns mitteilen: habt Respekt gegenüber jeder einzelnen Arbeit in ihrer ganzen Fragilität, Labilität und Verletzlichkeit. Die Kunst steht auf schwankendem Boden und sie bedarf eines selbstbewußten , aufmerksamen und achtsamen Betrachters
Dr. Hannelore Paflik-Huber, Mai 2013
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